Sich selbst finden – Der Weg ins eigene Leben

Keine Angst vor dem Alleinsein

 

Erst wenn ihre Bedürfnisse nach liebevoller Verbindung, Unterstützung und emotionalem Verständnis über viele Jahre frustriert und erodiert sind, denken sie irgendwann wie die Ex-Frau des ehemaligen "Spiegel"-Redakteurs Jan Fleischhauer, der sein eheliches Aufarbeitungsbuch nach dem Schlusssatz seiner Gattin benannte: "Alles ist besser als noch ein Tag mit dir". Und während Ehemänner, Meister des magischen Wunschdenkens, auch nach Jahrzehnten voller Streiten, Bitten, Schweigen, Tränen und Therapieversuchen den finalen Trennungswunsch ihrer Frau "überhaupt nicht haben kommen sehen" und nach dem ersten Schock eine Neubesetzung für die Gattin suchen, um nicht ins betreute Wohnen ziehen zu müssen, finden Ex-Gattinnen nach der Trennung auch ihre Traumfrau: sich selbst!

Nach einer Umfrage der amerikanischen Paartherapeutin Jennifer Garvin unter geschiedenen Frauen hatte übrigens jede dritte bereits vor der Eheschließung gezweifelt, ob das nun wirklich der einzig "Richtige" unter momentan weltweit verfügbaren vier Milliarden Männern sei. Wenn Frauen Nein denken, aber Ja sagen, liegt das an der Torschlusspanik, den Erwartungen ihres sozialen Umfeldes, dem Wunsch, auch mal so ein wunderschönes Hochzeitskleid zu tragen wie die Freundinnen, und einer biologischen Uhr, die fünf vor schwanger anzeigt. Man sollte sich das Jawort nicht von der Angst vor Einsamkeit diktieren lassen. "Wenn Sie Zweifel haben, lassen Sie es sein!", rät die Fachfrau.

Allerdings ist es zum Glück nie zu spät, es sein zu lassen. Vor einer Weile war ich auf einem Klassentreffen der Mütter. Wir alle hatten uns kennengelernt, als unsere ersten Kinder vor mehr als 15 Jahren zusammen in die 1b der Grundschule kamen. Damals waren wir eine homogene, privilegierte Gruppe mit Ehemännern, ein bis drei Kindern, Zweitwagen und Hund. Es gab nur zwei Alleinerziehende unter den Müttern, Exotinnen, die eher unter sich blieben, als ob das ansteckend wäre. Die erste Scheidung brach in Klasse 2b wie ein Tsunami in das familiäre Auenland ein und spülte unter anderem ein Wochenendhaus, eine Eigentumswohnung, einen Weinkeller, ein Pony und einen Porsche weg. Der Rest der Herde sah es mit Schrecken und schwor sich, es nie so weit kommen zu lassen. Knapp 15 Jahre später waren gut 70 Prozent geschieden oder getrennt lebend. Viele waren mit dem Fahrrad oder Bus gekommen – eher aus ökonomischen als ökologischen Gründen. Manche erkannte ich zuerst gar nicht wieder, aber im positiven Sinn: Obwohl es fast allen an Geld mangelte, hatten sie dafür Unmengen von Lebensfreude, Attraktivität und Ausstrahlung gewonnen. Unsere Kinder waren auf dem Weg in ihr eigenes Leben – und wir auch wieder.

Ich habe oft erlebt, dass Frauen zehn Jahre jünger aussahen, nachdem sie 90 Kilo Ehemann abgenommen hatten. Hat man eine Ehe erst hinter sich, ist auch Angst vor dem Alleinsein kein Thema mehr. Die meisten geschiedenen Frauen sind lebenstüchtig, selbstständig, praktisch, sozial viel besser vernetzt als Männer und wissen aus leidvoller Erfahrung, dass man nie einsamer sein kann als in einer unglücklichen Ehe. Im Gegensatz zu früheren Frauengenerationen, die kaum Alternativen zum Ausharren und Dulden in einer unglücklichen Ehe hatten, kennt die Generation der Frauen zwischen 40 und 55 ein anderes Leben. Sie erinnern sich noch gut an die voreheliche Unabhängigkeit, die Reisen, den Beruf, ihre Ambitionen, Träume, das eigene Geld. Freiheit. Das alles ist auf ihrer Festplatte gespeichert, sie müssen nur den Ordner wiederfinden. Man ist eine upgedatete, zukunftsfähige Version seiner selbst.

6 February 2023

 
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